Zweite ist Zweiter

Im Aufstiegsstrudel


Betrifft Mannschaft: 2. Mannschaft (Schwabenliga II Nord)

Was hatte unser letzter Gegner nicht schon alles an Persönlichkeiten ans Brett gebracht: Da gab es Zahnzyklopen mit verschiedenfarbigen Socken, goetherezitierende Ballonseideträger, wissende Hirsche und Südländer, die mit dem abgeschlagenen Hals einer Bierflasche ihrem Bezwinger an die Gurgel wollten; auch ein begabter Tierstimmenimitator, der das Schachvolk mit der Nachahmung von Kuhmuhen, Schafsmähen, Ziegenmeckern und Hühnergackern zu unterhalten wusste, war darunter zu finden. Das Auftauchen dieser Truppe sorgte in der Vergangenheit stets für Amüsement und garantierte langweilefreie Begegnungen, vor einigen Jahren jedoch setzte ein tiefgreifender Wandel im Personalbestand dieser Tradition ein Ende, und so trat eine geradezu biedere Achtschaft bei uns an. Einzig ein Zuschauer, der gegen Ende der Begegnung für einige Minuten sein Taxi verließ und die Zollhausschen Treppen erstieg, hätte das Potenzial für komödiantische Einlagen gehabt, aber er benahm sich ungewohnt zurückhaltend und verhaltensunauffällig.

Laut Werner Hug ist das Schönste am Schachspiel der Nachmittag nach einem gelungenen Kurzremis, und aus einer Kombination des Kantschen Imperativs und dieser Expertenmeinung entsprang ein Kürzestremis zwischen meinem Kollaborateur und mir. Unser Nachpartiegeplänkel dauerte bis um viertel nach zwölf und wurde durch Buchi gestört, der mit Fahrradföhnfrisur zum Kiebitzen eintraf. Da ich, um meinem Partieverlauf Sinn einzuhauchen, angeboten hatte, den Bericht zu schreiben, betrat ich wieder den Spielbereich und begutachtete, was sich auf den Brettern darbot.

Felix am ersten Brett hatte sich da schon eine Gewinnstellung erspielt. In einem Stonewall agierte der Weiße etwas unglücklich und bekam keinen rechten Grip auf die Stellung, Felix hingegen tat das, was er am besten kann und am liebsten tut, er ging auf den gegnerischen König los. Dieser war zum Zeitpunkt meines ersten Blickes bereits bar jeglichen Bauerschutzes, wofür Felix nicht einmal etwas geopfert hatte; er hatte im Gegenteil schon zwei Bauern mehr. Kurz darauf trat dann das zu Erwartende ein und der Punkt landete bei uns.

Am dritten Brett hatte Helmut eine virtuelle Qualität weniger, für die er allerdings in Form eines Bauern und des Läuferpaares deutliche Kompensation bekommen hätte. Irgendwie schaffte es sein Gegenüber, womöglich davon beeindruckt, die Stellung zu verderben, und Helmut stand mit zwei Mehrbauern da, die trotz ungleichfarbiger Läufer und eines Turms auf jeder Seite zu einem ab da ungefährdeten Sieg ausreichten.

Die Spieler an Brett vier waren beim Blick auf ihre Hinter- und Oberköpfe nicht zu unterscheiden, denn beide nannten eine hohe Denkerstirn ihr Eigen, unter der sie Ihre Maneuver zur Zugreife und von wo sie sie dann aufs Brett zur Materialisaton brachten. Peter als Weißer büßte hier in einem benoniartigen Aufbau durch eine Unachtsamkeit einen Bauern ein, raffte dich dann aber zu Gegenwehr in Form von Angriff und Verwicklungen auf. Justament in dem Augenblick, als er zumindest wieder subjektive Chancen hatte, kam ihm eine Qualität und bald darauf auch ein ganzer Punkt abhanden.

Wenn Bruno einmal eine Figur über die Mitte des Brettes laviert, dann wird es in der Regel gefährlich für den Gegner. Als ich seine Partie am fünften Brett zum ersten Mal in Augenschein nahm, sah ich seinen Gegner im Vorteil; zu schlecht war Brunos Läufer und zu gut der feindliche Springer. Bruno schaffte es dann, dem Gegner mit dem Vorpreschen seines schwarzen h-Bauern bis nach h4 Angst einzujagen, und hatte damit insofern Erfolg, als sich der Weiße am Königsflügel in seinem eigenen Figurengewirr verhedderte und soviel Material einbüßte, daß er die Partie bald aufgab.

Viktors Partie von Brett sechs war schon um die Mittagszeit gewonnen; als ich ihrer nach meinem zweistündigen Plausch zum ersten Mal ansichtig wurde, stand ein elementar gewonnenes Bauernendspiel auf dem Brett, in dem Viktor nichts mehr anbrennen ließ. In der späteren Anamnese konnte ich sehen, daß Schwarz die Rochade zugunsten eines vermeintlich befreienden Bauernhebels zurückgestellt hatte, sich dadurch aber Probleme im Zentrum einhandelte und im Gefolge einen Bauern an Viktor abtrat. Danach folgte wohl nicht die allerzäheste Gegenwehr, bis sich die bereits beschriebene Konstellation ergab.

Wie an Brett vier wären die Spieler am siebten Brett bei einem Blick auf ihre hintere und obere Kopfpartie nicht leicht zu unterscheiden gewesen. Beide hatten volles, dunkles und leicht gewelltes Haar in ählicher Länge und Frisur; beim Betrachten von vorne sprangen einem die Unterschiede jedoch klar in die Augen: Der Caissaner war von katholisch-beamtenhafter Gemütlichkeit, die auch auf sein Antlitz ausstrahlte, wohingegen unser Erich eine deutlich schärfere Zeichnung der Gesichtszüge aufwies. Daß äußere Eindrücke oft trügerisch sind, zeigte sich spätestens dann, als der scheinbar Gemütliche den gegnerischen im Zentrum hängengebliebenen König so lange hart anging, bis Erich keinen anderen Ausweg fand als eine Figur zu geben. Schach zu spielen ist aber eine Sache, die Erich anscheinend auch in schlechten Stellungen viel Spaß macht, und so spielte er unbeeindruckt weiter und weiter und machte einfach Züge, und am Ende stand, ich weiß nicht wie und warum, ein Remis auf dem Meldebogen.

Vor einigen Jahren wäre Lothar am achten Brett auf der anderen Seite gegesessen und hätte Schwarz gehabt; nun führte er die weißen Steine und hatte nach zwei Stunden auf mir unbekannte Weise einen Zentrumsbauern eingebüßt. Nach und nach tauschten sich irgenwann die Damen und dann weitere Figurenpaare ab, und da mit schwindendem Material der Mehrbesitz immer stärker an Bedeutung gewinnt, führte leider kein Weg an der Aufgabe vorbei. Matchentscheidend war das nicht, immterhin hatten wir zum Zeitpunkt der Kapitulation bereits viereinhalb Punkte.

Gefühlt haben wir jetzt so viele Mannschafts- und Brettpunkte auf der Habenseite wie wir in der gleichen Situation vor einem Jahr abgegeben hatten, und liegen somit völlig unverhofft auf dem zweiten Platz. Das bedeutet, daß wir gegen den Abstieg gefeit sind, mehr aber auch nicht.


Autor dieser Meldung:Viktor Kaiser
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Kommentare zu dieser Meldung:

Name und ZeitpunktKommentar
Lothar schrieb am 25.02.2016 gegen 17:15 Uhr Witziger Bericht mit Esprit - aber Lucky, der ist doch von Dir, nicht von Viktor, oder?
Lucky schrieb am 25.02.2016 gegen 20:51 Uhr Ja, der ist von mir; ich schreibe immer unter Viktors Namen.
Lothar schrieb am 27.02.2016 gegen 08:44 Uhr an Lucky: Dann bist Du ja praktisch sein Ghostwriter :-)
Lucky schrieb am 28.02.2016 gegen 09:15 Uhr Dann kann ich unter seinem Name ungeniert unsere Gegner beleidigen ...


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