Das 16. Reutlinger Open

Die alte Geschichte vom "blauen Auge"!

Es gibt doch tatsächlich Leute, die behaupten, ich zöge Turniere im Osten Deutschlands vor, weil man dort noch nicht weiß, wie man sich meiner zu erwehren bzw. wie man mich zu knacken hat. Diese Behauptung ist natürlich vollkommen falsch und spielte auch keine Rolle bei der Wahl meiner Turnierteilnahme! Vielmehr wogen die Umstände schwer, dass ich von vier , vielleicht waren es sogar derer fünf, geplanten Turnieren, an keinem einzigen teilgenommen hatte und dass die "beste Ehefrau von allen" just zu diesem Zeitpunkt einige Tage am Stück keine Arien singen musste!

Ein Blick in den Turnierkalender zeigte mir, dass ich mehrere Möglichkeiten hatte, in meinem geliebten "Ländle" um Ruhm und Ehre zu kämpfen. Und als erfahrener Trainer war ich mir dessen bewusst, dass ich aufgrund meiner mangelnden Turnierpraxis zunächst ein Vorbereitungsturnier spielen sollte, bevor ich wieder halbwegs gegen adäquate Gegnerschaft bestehen könnte. So fiel meine Wahl auf Reutlingen, das nicht nur alle Kriterien erfüllte, sondern mir auch in angenehmer Erinnerung geblieben war, bot es doch einen guten Turniersaal, eine hervorragende Organisation und einige andere Kleinigkeiten, die ein gutes Turnier auszeichnen. Sollte also jemand die Lust verspüren, die 17. Auflage dieses Turnieres am Fuße der Alb zu besuchen, so kann ich ihm das nur empfehlen, sofern man keinen gesteigerten Wert auf stärkste Gegnerschaft legt.

Ich startete als Fünfter der Setzliste und bekam es zunächst mit einem Jugendlichen zu tun. Er brachte zwar nur 1709 DWZ auf die Waage, doch wissen wir alle, dass nicht die DWZ, sondern das Spielen eine Partie entscheiden und dass ich in der Vergangenheit oftmals meine liebe Not hatte, wenn es gegen Jugendliche ging. Dieser erwies sich jedoch als ausgesprochen zahm, behandelte die Eröffnung mit einem großen Mangel an Verständnis und stellte sogar einen Bauern ein, den ich aufgrund meines "fidemeisterlichen Weitblicks" verschmähte - es war schlichtweg taktische Blindheit des Schreibers dieser Zeilen! -, sodass wir bei nahezu vollem Brett eine Zugzwangstellung produzierten - 1:0 für den Favoriten!

Durch diese "Leistung" gewarnt, trat ich am nächsten Morgen gegen Schachfreund Radek (DWZ 1878) mit den schwarzen Steinen an. Mit einem ungeheuren Selbstvertrauen, wobei hier "ungeheuer" wohl ein wenig übertrieben ist, lehnte ich sein Morra-Gambit ab und ließ mich zielstrebig in einen Maroczy ein, wobei ich mir bereits nach dem 12. Zug ein Remisangebot einfing. Verärgert über diese Aktion zu diesem frühen Zeitpunkt und mit der Frage beschäftigt, warum manche Menschen eigentlich Schach spielen, erreichte ich souverän eine Stellung, in der ich einen Bauern gewann, mich aber den schrecklichen "Pfad der Niederlage" beschreiten ließ. D.h. vermutlich hätte ich verloren, wenn mein Gegner den richtigen Plan gefunden hätte, weil mir, im Gegensatz zur "Kiste", weder in der Partie, noch in der Analyse einfallen wollte, wie ich den Laden noch hätte zusammenhalten sollen. Doch mein Gegner entschied sich für die denkbar schlechteste Fortführung des Kampfes und so konnte ich meinen zweiten souveränen Sieg einfahren - 2/2!

Angesichts dieses Verlaufs konnte es eigentlich nur noch besser werden, was es auch tatsächlich wurde! Denn mein dritter Gegner (DWZ 1982) spielte ausgerechnet gegen mich den beschleunigten Drachen, wobei er mir die Züge in einem atemberaubenden Tempo nur so entgegenschmetterte, verkannte wohl aufgrund der hohen Geschwindigkeit, dass er das thematische d5 in dieser Stellung nicht hätte ziehen dürfen und erreichte, ebenfalls in Rekordzeit, eine glatte Verluststellung mit Minusbauern. Hier hätte der Bericht über die 3.Runde enden sollen und der Leser hätte vielleicht eine gute Meinung von mir gehabt, doch leider kam es anders!
Denn ab hier setzte mein ganz großer Auftritt ein, der wahrscheinlich die meisten Turnierteilnehmer an meinem Geisteszustand zweifeln ließ. Mit leichter Hand gelang es mir nicht nur, meinem Gegner Kompensation für den Bauern zu geben, ich musste dafür auch noch soviel Bedenkzeit aufwenden, war aber auch wirklich sehr schwer so schwache Züge zu finden, dass ich in extreme Zeitnot kam. In dieser Phase der Partie, die mit zwei Türmen und Springer (ich) gegen Dame und zwei Bauern (er) eine recht ungewöhnliche Materialverteilung aufwies, einen nahezu lebenswichtigen Bauern einzustellen. Und als so die Zeit verrann und alles auf ein Zocken hinauszulaufen drohte, da lief er absolut unnötig, als wenn das je nötig wäre, in eine Springergabel und verlor die Dame und die Partie - 3/3!

Nachdem ich eine Nacht über alles geschlafen und mein Nervenkostüm wieder im Griff gehabt hatte, trat ich gegen einen Schüler des allseits geschätzten GMs Lanka an. Ein Blick in die Datenbank hatte mir gezeigt, dass er einen höchst taktischen Stil pflegt, wobei seine Berechnungen regelmäßig ein kleines oder gar großes Loch aufgewiesen haben. Dies und der Umstand, dass er mit 42 Jahren und 99 Auswertungen nicht mehr als 1924 DWZ vorzuweisen hatte, stimmte mich doch sehr zuversichtlich. Ich trat also mit Schwarz gegen ihn an, zündete partietaktisch klug das Brett an, übersah dabei natürlich etwas und durfte von da an eine halbe Ruine verwalten. Wirklich ganz großes Schach! So qäulten wir uns über viele Züge, bis er sich im Endspiel, obwohl nur noch wenige Figuren auf dem Brett standen, auch tatsächlich einen Aussetzer gönnte, der mir sofort eine Figur eingebracht hätte, weshalb er entnervt aufgab 4/4!

In der 5. Runde kam es, weil alle anderen topgesetzten Spieler in irgendeiner Form hatten Federn lassen müssen, zur Neuauflage der Begegnung GM Lanka (DWZ 2422) - Vuckovic, allerdings mit vertauschten Farben. Mir war vollkommen klar, dass der GM versuchen würde, sich für seine Niederlage in Chemnitz zu revanchieren und so stellte ich mich auf einen heftigen Kampf ein. Diesen wollte ich etwas entschärfen, Herr Lanka zieht es ja immer etwas zu sehr zum gegnerischen König, was mir auch in vorbildlicher Manier gelang. Ich fand alles am Brett, was man heutzutage als das Beste für Schwarz in dieser Variante betrachtet, musste aber den Tribut eines hohen Zeitverbrauchs bezahlen, sodass mir der Großmeister zwischenzeitlich nahezu eine Stunde abgenommen hatte. Als ich aufgrund dieser Situation anfing meine Schlagzahl zu erhöhen, da unterlief mir auch alsbald eine Ungenauigkeit, die man fast schon als Fehler werten darf. Denn ich gestattete meinem Gegner, eine Druckstellung aufzubauen, gefahrlos umzugruppieren und mich so ständig in Atem zu halten, ohne konkret etwas drohen zu müssen. Doch alles berechnen musste ich dennoch. Man kann also sagen, dass er mir eine ABM (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme) verpasste!
Und obwohl die Stellung im Gleichgewicht war, war es nur eine Frage der Zeit, wann ich aufgrund meiner knappen Bedenkzeit anfangen würde, die Qualität des Spiels der Geschwindigkeit zu opfern - Zeit ist eben auch ein Teil einer Schachpartie, was gerne vergessen wird!! -, was ich letztlich auch tat. Zunächst opferte ich einen Bauern für Komplikationen, manövrierte mich dann in eine hoffnungslose Lage und als ich dachte, mich mit einem Figurenopfer retten zu können, da nahm sich der recht verblüffte GM Zeit. Ich nutzte dieses Geschenk, vertiefte mich ebenfalls in die Stellung und stellte erschrocken fest, dass alles nur ein Irrlicht war. Er sah das wohl ebenso, sodass ich nach der richtigen Fortsetzung meines Gegners ein Matt in vier zuließ, wofür er sich bedankte - 4/5!

Nach dieser Niederlage war der Turniersieg in Weite Ferne gerückt. Nicht, dass ich ihn verdient hätte, aber wenn man im Vorfeld so viel Glück gehabt hat, dann nistet sich doch etwas Hoffnung ein. Nun bekam ich es mit einem Jugendspieler (DWZ 2118) zu tun, der die Überraschung des Turniers war. So hatte er neben einem Remis gegen einen IM, auch einen Sieg gegen einen erfahrenen FM vorzuweisen. Da aber dem aufmerksamen Leser das tiefe Schachverständnis eines FMs nicht entgangen sein dürfte, stufte ich den Sieg auch nicht besonders hoch ein.
Fest entschlossen, wenigsten eine gute Partie in jenem Turnier abzuliefern, entstand schon bald eine wilde Stellung, die, wenngleich ich ursprünglich eigentlich Weiß hatte, recht schnell zu meinen Ungunsten kippte. Nur die Unerfahrenheit meines Gegners und mein stahlhartes Kinn, dass so manchen Schlag in meinem Schachleben bereits hat hinnehmen müssen, brachten mich nicht nur zurück, sondern auch auf die Siegerstraße. Doch wahrscheinlich empfand ich diesen Verlauf unbewusst, der sich einfach zu oft zu wiederholen drohte, als schlichtweg ungerecht, sodass ich die die schlechteste Fortsetzung wählte, die mir zwar rein rechnerisch eine Qualität und einen Bauern einbrachten, mich aber zur Tatenlosigkeit verdammten, weshalb ich ins Remis einwilligen musste. Wirklich toll - 4,5/6!

Nun galt es nur noch, die letzte Runde heil zu überstehen. Dies zu erreichen, dass traute ich meinem Panow-Angriff gegen meinen jugendlichen Gegner zu, was ich lieber nicht getan hätte! Denn mein Gegner (DWZ 1990), ebenfalls einer von GM Lankas zahllosen Schützlingen, zeigte mir, mit welchen Schwierigkeiten sein Trainer in der Variante zu kämpfen hat, Eröffnungsproblemen, die ich ebenfalls am Brett nicht habe lösen können. Folglich sah ich mich schon bald in einer im höheren Sinne verlorenen Stellung, haderte mit mir und meiner Unfähigkeit und überlegte, ob ich dieses Niveau je wieder werde verlassen können. Dabei baute ich ein Pseudo-Bollwerk auf und bot meinem jungen Gegner die Gelegenheit Fehler zu machen. So zog ich f3, er tappte in die Falle und ich zog gleich im Anschluss f4, womit ich mir wichtige Felder freikämpfte. In dem anschließenden taktischen Handgemenge verlor der junge Mann zunächst ein wenig die Übersicht, später einen Bauern und zum Schluss die Partie - 5,5/7!

In der Endabrechnung belegte ich aufgrund der Buchholz den 4. Platz, was zwar rein optisch wie ein Erfolg erscheint, angesichts der Gegnerschaft und vor allen Dingen angesichts des Verlaufs der Partien eine schallende Ohrfeige für mich darstellt. Dass ich am Ende nicht vollkommen abgestürzt bin, das kann ich offen gestanden auch nicht verstehen. Allerdings machte mir das Turnier nochmals schmerzlich bewusst, wie wichtig Turnierpraxis ist, sodass ich in Zukunft nach Möglichkeit so lange Pausen vermeiden werde.

Fazit:
- So macht Schach keinen Spaß!
- Das war keine Werbung für unseren Verein! :(
- Leute, spielt Turniere!
- Momentan bin ich ein Papiertiger!
- Wer wird das nächste Mittwochstraining leiten?


Autor dieser Meldung:Aleksandar Vuckovic
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Kommentare zu dieser Meldung:

Name und ZeitpunktKommentar
Joerg schrieb am 19.07.2011 gegen 23:22 Uhr Sehr schön geschrieben (Ephraim laesst gruessen). Aber die Haerte der Erkenntnis läßt sich kurz in ein ´Schwein gehabt´ zusammenfassen.
Und das darf ja auch mal sein, oder?


Der vorliegende Bericht ist älter als ein Jahr und kann daher nicht mehr mit Kommentaren versehen werden!
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