8. Brauhaus-Cup
Wertvolle Erkenntnisse
Helmut W. hatte den Eindruck erweckt, dass er seinen Abstand zu mir weiter ausbauen wolle - solide Leistung beim AFRO -, Paul D. hatte offenbar beschlossen, mindestens zur Nummer zwei aufzusteigen - spielt ein gutes Turnier nach dem anderen - und ausgerechnet in dieser Situation hatte ich mich in der größten schachlichen Krise meines Lebens befunden - Verlust von ca. 100 DWZ bzw. ca. 75 Elo! Nun hätte ich mich mit allem abfinden können oder aber einen Versuch wagen, die Initiative zu übernehmen, wobei natürlich auch die Gefahr bestanden hatte, noch weiter abzustürzen. Da das Abwarten nicht ganz meinem Naturell entspricht, entschloss ich mich zu kämpfen und meldete mich nach reiflicher Überlegung zum 8. Brauhaus-Cup in Chemnitz an. Die Wahl fiel deshalb auf dieses Turnier, weil es wesentlich besser besetzt war als das zeitgleich stattfindende Gocher Open - sportliche Attraktivität - und weil für mich bisher Turniere in Ostdeutschland recht erfolgreich verlaufen waren - Psychologie!
Die Turnierbedingungen waren alles andere als optimal, was der Veranstalter aber durch eine gute Organisation und sehr gute Turnierleitung wieder wettmachte. Außerdem kam hinsichtlich der Bedenkzeit der "Fischer-Modus" (90 Min./40 + 30 Sek. Aufschlag/Zug) zur Anwendung und die neue "Remis-Regel" (Remisgebote erst nach dem 30. Zug von Schwarz) wurde eingeführt. Bei einem Teilnehmerfeld von 85 war ich 11. der Setzliste und blickte erwartungsfroh und voller Tatendrang dem Beginn des Turniers entgegen, das dann auch pünktlich anging und mir viele wertvolle Erkenntnisse brachte!
1. Runde: Ich durfte mit Weiß gegen einen Schachfreund mit Elo1885 bzw. 1714 DWZ antreten, legte forsch los und stellte während der Partie erstaunt fest, dass ich mich durchaus in der Favoritenrolle sah. Dem war in den letzten Jahren nicht so, besaß ich doch die herausragende Begabung, meine Gegner immer unglaublich stark zu reden, was diesmal einfach ausblieb - 1. Erkenntnis! Obwohl ich mir die allergrößte Mühe gab, den Gegner immer wieder ins Spiel kommen zu lassen, machte er all meine Versuche souverän zunichte und musste alsbald die Waffen strecken - 1/1.
2. Runde: Durch diesen Sieg beflügelt - hatte in den letzten Jahren nicht oft reibungslos in der 1. Runde gewonnen - griff ich nach langer Zeit wieder zu meiner Lieblingsverteidigung, obwohl ich diese wegen einer kritischen Variante fast aufgegeben hatte. Doch wie gesagt, ich war einfach euphorisch. Es kam natürlich wie es kommen musste, mein Gegner legte den Finger genau aus die Wunde, sodass ich ein hoffnungsloses Endspiel mit einem Minusbauern verteidigen durfte. Hier kam mir dann wohl der Umstand zu Hilfe, dass mein Gegner zwar 2023 Elo, aber nur 1893 DWZ auf die Waage brachte. Denn ich vermochte nicht nur die Stellung zu halten, sondern konnte am Ende den vollen Punkt verbuchen - 2/2. Trotz des Sieges blieb aber die Erkenntnis, dass ich diese Verteidigung bis zur Rehabilitierung nicht mehr werde spielen können!
3. Runde : Hier bekam ich es mit dem renommierten GM Lanka (2496 Elo/ 2514 DWZ) zu tun. Übermütig wie ich war, wählte ich gegen den Sizilianer im 5. Zug eine Fortsetzung, die ich erst unlängst bei unserem Bernd B. gesehen hatte. Leider hatte ich es versäumt, mir die Ideen von ihm erklären zu lassen, weshalb mein Zeitverbrauch danach sprunghaft anstieg - Kommentar meines Gegners dazu: "Warum haben Sie so lange überlegt, wenn das doch die Hauptvariante ist?"; Wohl dem, der das weiß! Da ich irgendwann die Gefahr erkannte, langsam eingemacht zu werden, suchte ich verzweifelt nach einem mir bekannten Plan, opferte intuitiv zwei Leichtfiguren für Turm und zwei Bauern, wobei ich plötzlich drei Freibauern vorweisen konnte, und gewann anschließend recht souverän - 3/3. Aus diesr Partie zog ich gleich drei Erkenntnisse, nämlich dass ich zum einen wieder über ein gutes Gespür für Dynamik verfüge, dass ich nach außen hin auf einen Theoristand von 1985 bin (Lanka) und dass Chris M. mir bescheinigt, nicht einmal auf dem Theoriestand eines Philidor zu sein - was wohl zutreffend ist!
4. Runde: Als Tabellenführer musste ich gegen GM Luther (2559 Elo/ 2562 DWZ) antreten. Er spielte statt seiner wilden Aljechin die solide Französische Verteidigung, wobei er auch hier die möglichst ruhigste Fortsetzung wählte. Es war daher nicht verwunderlich, dass ich von Beginn an einen klitzekleinen Vorteil hatte, den er mir auch eine gewisse Zeit lang nicht streitig machen konnte. Alles lief super bis ich vor einem für mich unlösbaren strategischen Problem stand! Obwohl ich ganze 49 Minuten in die Stellung investierte, wollte sich einfach kein Verständnis einstellen, weshalb ich zu einer etwas unnatürlichen Zugfolge griff, um die Stellung zu vereinfachen. Danach war die Stellung auch wirklich einfach, nämlich einfach verloren und so musste ich wieder das Spitzenbrett räumen - 3/4. Wenigstens konnte ich auch aus dieser Begegnung etwas für die Zukunft mitnehmen. Zum einen, dass zumindest GM Luther von meiner Vorstellung in der vorherigen Runde so beeindruckt war, dass er sich veranlasst sah, etwas umzustellen und zum anderen, dass es trotz meiner reichlichen Turniererfahrung immer wieder Stellungstypen gibt, von denen ich keine Ahnung habe - tut weh!
5. Runde: Da ich mich gerne der Förderung der Jugend widme, wurde mir ein hiesiges Talent (1991 Elo/1882 DWZ) zugelost. Mühelos erreichte ich Ausgleich, sammelte immer wieder einen kleinen Vorteil, knetete hier und da und fuhr letztlich verdient den vollen Zähler ein - 4/5. Weil allerdings alles so zäh verlief, werde ich auch diese Variante überarbeiten müssen - 8. Erkenntnis!!
6. Runde: Mit diesem Gegner, IM Spieß (2427 Elo/ 2386 DWZ) hatte ich bereit zweimal die Klingen gekreuzt und es war mir jedes Mal gelungen, ihm von der Schippe zu springen, wobei immer hoch taktisch zugegangen war. Nun hieß es, erstmals mit Schwarz zu überleben, zumindest dachte ich das. Es entstand schon sehr früh eine äußerst unübersichtliche Stellund, die ich nur aufgrund einer Serie einziger Züge zusammenzuhalten vermochte. Als er mich dann schließlich im "Aufgabe-Modus" sah, da entbrannte der Kampf erst recht, der, nachdem sich der Pulverdampf gelegt hatte, in ein für mich schmeichelhaftes Remis mündete. Nach der Partie erfuhr ich von meinem, dass ich die Variante zwar besser als beim ersten Mal gespielt habe - Ups, doch nicht unsere erste Partie dieser Art! -, die entstandene Stellung aber wohl immer noch für Weiß besser sei. Diese Begegnung brachte mir folglich ebenfalls etwas für die Zukunft, nämlich die Gewissheit, dass mein Gedächtnis unter aller Sau ist und dass ich mehr einstecken als Schachfreund Spieß austeilen kann - 4,5/6! :)
7. Runde: Die letzte Runde war vom Kampf geprägt, hatten doch sowohl mein Gegner, IM Womacka (2452 Elo / 2432 DWZ), als auch ich die Möglichkeit, mit einem Sieg noch sehr weit vorzustoßen. Wieder stellte ich unter Beweis, dass ich mit einer Serie unnatürlich aussehender Züge jede Stellung zu misshandeln vermag. Das hatte zwangsläufig zur Folge, dass sich mein Gegner förmlich auf meine Stellung draufsetzte. Doch da ich über "ein wenig" Erfahrung im Verwalten maroder Stellungen verfüge, wurde ich nicht nervös, orientierte mich an Helmut Ws. Motto und besetzte frech eine offene Linie, während mein König vielen Angriffen ausgesetzt war. Diese Aktion sollte letztlich auch reichen, um das Remis zu sichern, was logischerweise eine Platzierung auf dem Treppchen zunichte machte - 5/7.
Mit 5/7 belegte ich in der Endabrechnung den 7. Platz und durfte auf Anweisung meiner Dienstherrin, sprich Ehefrau, noch in derselben Nacht - es gab wieder einmal Probleme mit den Kindern - mit leeren Händen auf den Heimweg machen, wo ich "bereits" um 5.58 Uhr ankam!
Fazit: Zwar Turnier stufe ich aufgrund der schlechten Platzverhältnisse - es passierte öfter, dass Spieler die Uhr des Nachbarbrettes betätigten - und meiner persönlichen Umstände unter die Rubrik "Abenteuer" ein, kann es aber, sofern es überhaupt wieder stattfinden sollte, ruhigen Gewissens weiterempfehlen, da die Organisation und vor allen Dingen die Turnierleitung durchaus zu gefallen wussten. Außerdem ist es eine nette Gelegenheit, zu sehen, dass es neben unserem Bernd B. auch andere Menschen gibt, die zwar im Bundesgebiet leben, die man aber nicht verstehen kann! ;)
Sollte Interesse an weiteren Berichten bestehen, das ist ja schon mein zweiter, dann schreibt doch bitte einen kurzen Kommentar, damit ich weiß, ob ich Euch auch künftig mit weiteren Beiträgen traktieren soll. Danke. Ich für meinen Teil würde mich freuen, wenn auch andere hier ihre Turniererlebnisse schildern würden, damit man weiß, welche Teilnahmen lohnenswert sind und auf welche man besser verzichten sollte. Ergebnisse und Tabellen auf http://www.brauhauscup.chemchess.de/
Autor dieser Meldung: | Eckhardt Frank | Aufrufe: | Dieser Artikel wurde bisher 321 Mal gelesen. |
Kommentare zu dieser Meldung:
Name und Zeitpunkt | Kommentar |
Florian schrieb am 12.10.2009 gegen 09:27 Uhr |
Hallo Alex, ich lese Dene Berichte immer gerne! Glückwunsch zur deutlichen DWZ und ELO Steigerung, oder? Viele Grüße, Flo |
Lothar Weimer schrieb am 12.10.2009 gegen 20:01 Uhr |
Hallo Aleksandar! - Was mich angeht, ich lese auch in den Schachzeitschriften immer die Turnierberichte lieber als ewig lange Spaghetti-Varianten. Deshalb immer her damit! Leider ist die Zeit, als ich selber viele Open spielte, schon seit 20 Jahren vorbei... |
Alex schrieb am 12.10.2009 gegen 21:50 Uhr |
Flo: Freut mich, wieder einmal etwas von Dir zu hören! Solltest Du wieder im Lande sein, dann melde Dich doch einfach, damit wir zum Squash gehen können. Was die nominelle Verbesserung angeht, da ist noch nichts raus. Allerdings denke ich, dass ich mich nicht gerade verschlechtert habe - wohin auch? ;)
Lothar: Alles klar! Doch es müssen ja nicht unbedingt viele Turnierberichte sein. Hier und da einmal einer wäre vollkommem ausreichend! :) |
Lucky schrieb am 13.10.2009 gegen 14:15 Uhr |
Ja, mach weiter so!!! |
Dima schrieb am 13.10.2009 gegen 20:04 Uhr |
Der Bericht ist super!!! Herzlichen Glückwunsch zu der guten Leistung! |
Stefan K. schrieb am 15.10.2009 gegen 19:48 Uhr |
Herzlichen Glückwunsch zu Deinem Erfolg in Karl-Marx-Stadt und danke für den lesenswerten Bericht! |
Christoph schrieb am 19.10.2009 gegen 14:25 Uhr |
Unbedingt mehr solcher Berichte! Ich lese sie gerne. Gut, dass Du in Form kommst, wir brauchen dich für den geplanten Aufstieg :-) *grins* (träumen darf man ja) |
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